Menü

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kreisverband Tübingen

Bürgergeld – Fakten statt Fake

14.01.25 –

… unter dieser Überschrift hatte der Kreisverband Tübingen von Bündnis 90/Die Grünen am Donnerstag, den 9.1. zu einem Vortrag mit Diskussion in das Gemeindehaus der Eberhardskirchengemeinde eingeladen. Beate Müller-Gemmeke, MdB und Fachpolitikerin für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitnehmer*innenrechte analysierte in ihrem Vortrag die aktuelle Diskussion um das Bürgergeld, wie sie gegenwärtig von konservativen und rechten  Politiker*innen angeheizt wird. Die Gesetzesreform, mit der 2023 das Bürgergeld die bisherigen Hartz-IV-Leistungen abgelöst hat, war bis kurz vor ihrer Einführung heftig umstritten. Aus Sicht der Grünen wurde die Reform im Vermittlungsausschuss durch Interventionen der CDU-regierten Bundesländer verschlechtert. In der aktuellen Diskussion wird mit der Behauptung, die zu hohen Leistungen und fehlende Sanktionen würden viele Arbeitslose von einer Arbeitsaufnahme abhalten, das Bürgergeld infrage gestellt. Beate Müller-Gemmeke wies dagegen darauf hin, dass von den insgesamt 5,5 Millionen Leistungsempfänger*innen des Bürgergeldes nur 1,7 Millionen arbeitslos sind. Weitere 1,2 Millionen sind Minijobber*innen oder Geringverdiener*innen, deren Verdienst nicht zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes ausreicht. Außerdem ist es überaus beschwerlich, den Bezug der Grundsicherungsleistungen zu beantragen, da zunächst alle vorrangigen Leistungen (Kindergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag etc.) beantragt und geprüft werden müssen. Und die These, dass Arbeit sich nicht lohnen würde, ist eine bewusste Falschdarstellung, weil von jedem zusätzlichen oder Nebeneinkommen ein Freibetrag nicht auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet wird. Auch  können geringe Einkommen an der Grenze zum Bürgergeld durch die vorrangigen Leistungen aufgestockt werden, während diese im Bürgergeldbezug angerechnet werden. Nach Untersuchungen des ‚Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung‘ der Bundesagentur für Arbeit lehnen von den arbeitslos gemeldeten Grundsicherungsempfänger*innen weniger als 1% die ihnen angebotene Maßnahmen oder Arbeitsstellen ab. Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss vielmehr berücksichtigt werden, dass es sehr viele individuelle Wege in die Arbeitslosigkeit gibt und dass die Betroffenen einer gezielten und individuellen Unterstützung bedürften, um wieder auf den Arbeitsmarkt zurück zu finden. Die Diskussion um eine Einschränkung oder gar Abschaffung des Bürgergeldes wirkt toxisch auf unsere Gesellschaft. Dabei kann der Verlust des Arbeitsplatzes und lang dauernde Arbeitslosigkeit jede*n treffen, und das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen mehrfach betont, dass die zentrale Aufgabe der Grundsicherung die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens ist.

Auch die Diskussionspartner*innen pflichteten dieser Einschätzung bei. Fabian Everding vom Tübinger Arbeitslosentreff betonte, das schon die gegenwärtigen Sanktionen von bis zu 30% der monatlichen Regelleistungen bedeuten für die Betroffenen eine große Verunsicherung und angesichts der ohnehin zu niedrigen Regelsätze eine existentielle Bedrohung. Ester Peylo, Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes in Tübingen, beschrieb, dass die Debatte um das Bürgergeld auch auf die anderen Sozialberatungsbereiche ausstrahlt, die von der Diakonie angeboten werden. Bürokratiemonster wie die Bezahlkarte für Flüchtlinge diskriminieren die Betroffenen. Die Menschen, die die Angebote  der Tafeln oder der Vesperkirche in Anspruch nehmen müssen, schämen sich häufig ihrer Lebenssituation, während es doch eigentlich  ein  Armutszeugnis für unsere Gesellschaft ist, dass es diese Angebote überhaupt geben muss. Im Gegensatz zu diesen Diskriminierungen und Spaltungen brauchen wir eine Gesellschaft, die zusammenhält. Esther Peylo hat dies in zehn Thesen, „zehn Geboten“ für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgedrückt. Tobias Kaphegyi vom DGB Reutlingen/Tübingen spannte den Bogen noch weiter, indem er darauf hin wies, dass Arbeit eine zentrale Bedeutung für die Identität von Arbeitnehmer*innen hat und dass daher Menschen ohne Arbeit oft sehr kritisch gesehen werden. Darüber hinaus neigen viele Arbeiter*innen in wirtschaftlich kritischen Phasen, in denen die Arbeitsplatzsicherheit verloren geht, zu rechtspopulistischen Einschätzungen, zur Unterwerfung unter (politische und wirtschaftliche) Autoritäten und wählen überdurchschnittlich häufig die AFD. Gerade in solch kritischen Zeiten ist es die Aufgabe des Staates solchen Ausgrenzungstendenzen durch mehr Teilhabemöglichkeiten entgegen zu wirken und im  Sinne des Grundgesetzes die Würde des Menschen sicher zu stellen.

Aus dem Publikum wurde dazu die Frage gestellt, ob nicht die Diskriminierung der sozialen Sicherung allgemein und von Arbeitslosen im besonderen darauf abziele, die Beschäftigten und ihre gewerkschaftlichen Vertretungen unter Druck zu setzen.

Auch wenn es zu einzelnen Aspekten auf dem Podium und im Publikum durchaus unterschiedliche Einschätzung gab, bestand Einigkeit darin, dass das Bürgergeld mit seinen positiven Ansätzen einer Beratung auf Augenhöhe und Kooperationsvereinbarungen zwischen Jobcentern und Arbeitslosen erhalten bleiben muss. Das „Wunsch- und Wahlrecht“, wie es in anderen Sozialleistungsbereichen (Behinderten-, Jugendhilfe) selbstverständlich ist, muss auch für Arbeitslose gelten. Hinsichtlich der staatlichen Einnahmen und Ausgaben, sollte weniger über Leistungsmissbrauch beim Bürgergeld als vielmehr über die Milliardenverluste durch Steuerhinterziehungen diskutiert werden. Und schließlich sind die Ausgaben für das Bürgergeld keine verlorenen Gelder, sondern sie werden in vollem Umfang in Konsumausgaben umgesetzt und unterstützen damit die Wirtschaft, für die der private Konsum eine wesentliche Größe ist.

 

10 Gebote im Umgang mit Bürgergeldempfänger*innen (von Esther Peylo, Diakonisches Werk Tübingen, Januar 2025)

GRUENE.DE News

<![CDATA[Neues]]>